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Thema der Woche: Die Wahrheit über Gluten

07.08.2018

Die Bezeichnung „glutenfrei“ ziert mittlerweile viele Lebensmittelpackungen. Aber wer sollte wirklich darauf verzichten? Wissenswertes rund um das Getreideeiweiß und die Angst vorm Weizen lesen Sie im aktuellen Thema der Woche.

Für die allermeisten Menschen ist Gluten unbedenklich.
Brot, Nudeln, Kuchen, Kekse - in diesen und vielen weiteren Lebensmitteln steckt Gluten.
© fabiomax - stock.adobe.com

Viele haben schon von Gluten – die Betonung liegt auf der zweiten Silbe – gehört. Der Begriff geht durch die Medien und das Wörtchen „glutenfrei“ klingt nach einem Qualitätsversprechen. Aber stimmt das wirklich? Gluten ist ein Sammelbegriff für mehrere Eiweißbestandteile im Getreide. Man nennt es auch „Klebereiweiß“, denn es sorgt dafür, dass der Teig eine gute Struktur und Brot eine schöne Kruste bekommt. Also gar nicht so schlecht. Gluten steckt beispielsweise in Weizen, Dinkel, Grünkern, Roggen und Gerste. Hafer enthält kaum Gluten. Für etwa 99 Prozent der Menschen ist Gluten unbedenklich. Der Körper kann das Eiweiß problemlos verdauen.

Attacke im Darm

Nicht so bei Menschen mit einer sogenannten Zöliakie. Bei dieser Verdauungserkrankung können kleinste Mengen an Gluten starke Entzündungsreaktionen im Darm auslösen. Es zeigen sich mitunter Beschwerden wie Blähungen, Durchfall, Gewichtsverlust oder Bauchschmerzen. Aber auch Symptome außerhalb des Darms wie Müdigkeit, Stimmungsschwankungen oder Blutarmut kommen oft vor. Im Dünndarm bildet sich die Schleimhaut zurück, die Verdauungsfunktion ist eingeschränkt und manche Betroffene zeigen Zeichen einer Mangelernährung. Wird auf Gluten verzichtet, klingen die Entzündungen ab. Diese klassische Zöliakie mit Verdauungsbeschwerden zeigen allerdings nur etwa 10 bis 20 Prozent der Betroffenen. Alle anderen haben untypische, minimale oder gar keine Symptome. Das macht es manchmal schwer, die Krankheit zu erkennen. Eine Zöliakie bricht häufig bei Kindern bis acht Jahren und bei Erwachsenen zwischen 20 und 50 aus. Es ist eine chronische Erkrankung, die ein Leben lang bestehen bleibt.

Die gute Nachricht: Mit Zöliakie lässt es sich gut leben. „Die am besten untersuchte Therapieform ist die Karenz – das heißt, Betroffene verzichten komplett auf Gluten“, erklärt Professor Dr. Martin Raithel, Chefarzt am Malteser Waldkrankenhaus St. Marien in Erlangen. Dann klingen die Beschwerden ab. Die Diagnose stellt der Arzt, indem er Antikörper bestimmt und eine Gewebeuntersuchung der Dünndarmschleimhaut vornimmt. Für alle Menschen mit Zöliakie sind Produkte ohne Gluten und die Kennzeichnung „glutenfrei“ demnach Gold wert. Denn es fällt gar nicht so leicht, das Klebereiweiß völlig zu verbannen. Es steckt in herkömmlichem Brot und in Nudeln, in Kuchen und in Keksen, in Soßen, Suppen und vielen Fertiggerichten. Glücklicherweise gibt es neben zahlreichen Ersatzprodukten heutzutage auch Kochbücher und sogar Zeitschriften, die es erleichtern, auch ohne Gluten lecker zu essen.

In Zukunft könnten sich noch weitere Therapieformen durchsetzen, die derzeit Forscher beschäftigen. „Es sind beispielsweise Entwicklungen im Gang, dass Gluten durch die Aufnahme von zusätzlichen Enzymen oder speziellen Bakterienpräparaten verdaut werden kann. Hier sind noch keine Arzneimittel zugelassen, aber das wird sicherlich kommen“, versichert Raithel.

Das Problem mit dem Weizen

Wenn aber nur maximal ein Prozent der Bevölkerung Probleme mit Gluten hat – warum dann die große Verunsicherung? Und weshalb verzichten immer mehr Menschen auf Weizen? „Mittlerweile geben etwa 20 bis 25 Prozent der Menschen an, dass sie Probleme mit Weizen haben“, erklärt Raithel. Laut des Experten der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten hat dies mehrere Gründe: „Viele Patienten ordnen Verdauungsprobleme erst einmal Lebensmitteln zu. Außerdem ist heutzutage das Bewusstsein für eigene Beschwerden höher.“ Also alles nur Einbildung? „Nein, wir wissen auch, dass gerade Weizen ein hohes Potenzial für allergische Reaktionen und Unverträglichkeiten hat. Aber ob er bei Beschwerden wirklich dahintersteckt, sollte anhand fassbarer Kriterien von einem Arzt abgeklärt werden.“

Der kann beispielsweise eine Weizenallergie oft gut erkennen. Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, aber auch Hauterscheinungen oder Jucken und Schwellungen im Mund- und Rachenraum können einen ersten Hinweis auf eine Weizenallergie geben. Mit einer Blutuntersuchung auf Allergie-Antikörper und einem Haut-Prick-Test auf Weizen stellt der Arzt die Verdachtsdiagnose. Durch eine Provokation, also den bewussten Kontakt mit Weizen, kann die Diagnose gesichert werden. Die Häufigkeit einer Weizenmehlallergie liegt laut Raithel bei etwa einem Prozent der Bevölkerung. Die Allergie lösen ebenfalls Eiweißbestandteile aus, aber nicht unbedingt das Gluten. „Weizen enthält zahlreiche – etwa 20 000 – unterschiedliche Eiweiße, die das Immunsystem möglicherweise aktivieren können.“ Auch Menschen mit Weizenallergie sollten die Auslöser, also Weizen sowie verwandte Arten wie Einkorn oder Dinkel, komplett meiden. So bleibt die allergische Reaktion in Zukunft aus. Außerdem könnten sogenannte Probiotika – Bakterien, die positiv auf die Darmflora wirken – eine Allergie dämpfen. Auch hierzu laufen laut Raithel derzeit Forschungsarbeiten.

Wenn es keine Allergie ist

Wer Beschwerden verspürt, aber weder eine Zöliakie noch eine Weizenallergie vorliegt, könnte eine Unverträglichkeit haben. Der komplizierte Name der Erkrankung lautet Nicht-Zöliakie-nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität – oder kurz Weizensensitivität. Betroffene klagen oft über Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall. Es können auch Kopfschmerzen, Antriebslosigkeit oder Muskelbeschwerden auftreten. Etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung haben diese Erkrankung, laut Raithel möglicherweise sogar etwas mehr.

Auch hier liegt es wahrscheinlich nicht, wie anfangs vermutet, an Gluten. So könnten zahlreiche weitere Bestandteile die Symptome mit auslösen – etwa sogenannte FODMAPS. Das ist eine Abkürzung für Kohlenhydrate wie längere Fruchtzucker- oder Galaktosemoleküle. Auch Eiweißstoffe, sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), lösen Beschwerden aus. Letztere sind Abwehrstoffe, die die Getreidepflanze selbst gegen Schädlinge bildet. Im menschlichen Körper können sie bei empfindlichen Menschen zu Entzündungsreaktionen im Darm führen. „Da es sich hier um eine Unverträglichkeit handelt, sind die Reaktionen dosisabhängig“, erklärt der Experte. So vertragen manche Betroffene durchaus kleine Mengen Weizen, Dinkel oder andere glutenhaltige Getreide – obwohl in allen ATI stecken. Sie müssen aber mitunter andere Lebensmittel meiden. Denn die angesprochenen FODMAPS stecken auch in Hülsenfrüchten, Obst, Milchprodukten oder Zuckeraustauschstoffen. „Die richtige individuelle Diät allein zusammenzustellen, ist sehr komplex. Daher ist nach einer klaren ärztlichen Diagnose eine gute Schulung bei professionellen, spezialisierten Ernährungsfachkräften sehr wichtig“, betont Raithel.

Lohnt sich glutenfreies Essen?

Aber zurück zur Ausgangsfrage. Lohnt es sich, auf Gluten zu verzichten? Raithel gibt eine klare Antwort: „Es hat keine Vorteile, auf Gluten zu verzichten, wenn man keine Beschwerden und keine der oben aufgeführten Erkrankungen hat.“ Es sei sogar ein Mangel an Vitamin B1 und B2 möglich, und man nehme insgesamt weniger Ballaststoffe auf. „Dadurch wird die Darmflora verändert, was in der modernen Gesellschaft aktuell ein deutlich unterschätztes Phänomen ist. Denn das macht den Menschen mitunter sogar anfälliger für Infektionen oder Allergien“, erklärt der Experte. Am besten sei wie so oft die goldene Mitte: Mischkost, in der alle Lebensmittel vorkommen, aber von keinem zu viel auf einmal.

Diplom-Oecotrophologin Katrin Faßnacht-Lee

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