Somatoforme Störung: Der hat doch nichts, oder?

Natascha Plankermann | 01.12.2021

Das fragt man sich mitunter, wenn jemand oft zu Ärzten geht, ohne dass eine Ursache seiner Beschwerden gefunden wird. Es könnte dann eine somatoforme Störung vorliegen. Was das bedeutet, erklärt Professor Dr. Volker Köllner, Leiter der Forschungsgruppe psychosomatische Rehabilitation der Berliner Charité.
Einige Menschen leiden immer wieder unter körperlichen Symptomen, für die Ärzte keine Erklärung finden.

Warum leiden Betroffene darunter?

Köllner: Der einzelne Patient im Wartezimmer denkt ja, dass der Mediziner bei allen anderen, die da sitzen, die Ursache ihrer Probleme festgestellt hat – nur bei ihm nicht. Das suggerieren auch die vielen Berichte über Hightech-Diagnosegeräte. Dabei können Ärztinnen und Ärzte trotzdem oft nicht die Ursachen für bestimmte körperliche Anzeichen herausfinden.

Was tun Mediziner dann?

Köllner: Das ist die große Kunst, die viele Hausärzte in der Grundversorgung beherrschen. Sie müssen aufgrund ihrer Erfahrung entscheiden, ob sie abwarten oder einen Patienten weiter untersuchen lassen, eventuell beim Facharzt oder durch bildgebende Verfahren. Letzteres muss man natürlich bei einem akuten Brennen in der Brust tun, aber es kann nicht in jedem Fall die Option sein. Wenn bei jedem Körpersymptom eine Abklärung etwa mit Röntgen erfolgen würde, wären die Risiken durch die Untersuchungen höher als die gewonnene Sicherheit. Hinzu kommt die Zeit, die man dadurch verliert. Allgemein gilt für Patienten: Sie sollten sich nicht nur gut mit ihrem Hausarzt austauschen, sondern auch ein Gefühl für den eigenen Körper und Selbstverantwortung entwickeln.

Wie häufig liegen nicht nur unproblematische Symptome, sondern anhaltende und belastende somatoforme Störungen vor?

Köllner: In engerem Sinne handelt es sich um fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung. Lassen Sie mich am Beispiel von Kreuzschmerzen, die auch zu solchen Störungen zählen können, schildern, wie Ärzte damit umgehen können. Der Hausarzt schaut erst nach sogenannten "red flags" – rote Flaggen. Das sind Hinweise auf mögliche gefährliche Ursachen wie etwa ein Tumor. Dann untersucht er die "yellow flags" – also ob es Hinweise auf die Entwicklung chronischer Schmerzen gibt. Vielen Menschen kann man beispielsweise durch Bewegung und Muskelstärkung, gepaart mit wohl dosierten Schmerzmitteln oder Wärme, gegen Verspannungen helfen. Dennoch bleiben einige, die immer wiederkommen, da sie weiter leiden. Dann droht ein normales Phänomen chronisch zu werden.

Wie kann dann eine Therapie aussehen?

Köllner: Auch hier können Hausärzte mit ihrer psychosomatischen Kompetenz helfen, indem sie zum Beispiel gemeinsam mit dem Patienten herausfinden, welche Ursachen es noch für die Probleme geben könnte. Das können etwa Konflikte am Arbeitsplatz sein. Rücken- oder Kopfschmerzen sind häufig eine Folge von Anspannung. Selten steckt ein unbewusster psychischer Konflikt dahinter, dann sprechen wir von Konversion. Die dritte mögliche Ursache stellen Teufelskreise dar, in denen Betroffene das Symptom als Anzeichen einer schweren Erkrankung wie Krebs werten. Dann haben sie Angst, beobachten sich intensiv. Viele schonen sich sehr und sind dann nicht gut trainiert, was Probleme wie Herzklopfen oder Atemnot langfristig verstärkt. Hier gilt es, das richtige psychosomatische Vorgehen zu finden, etwa eine multimodale Therapie mit Bewegung und Verhaltenstherapie.

Können diese Störungen wieder verschwinden?

Köllner: Wer die Symptome versteht, akzeptiert und bewältigt, hat gute Chancen, dass sie verschwinden. Nehmen wir etwa die schlecht trainierten Patienten mit Kreuzschmerzen, die in der multimodalen Therapie erleben, wie ihre Kraft zurückkehrt. Sie spüren im Idealfall nach drei Wochen, dass sie fitter sind als zuvor. Diesen Effekt kann man mit noch so vielen Gesprächen nicht erreichen.

Vielen Dank für das Gespräch!