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Thema der Woche: Apotheker im Einsatz für Flüchtlinge

07.10.2015

Normalerweise helfen die „Apotheker ohne Grenzen“ (AoG) in armen Ländern mit mangelnder medizinischer Infrastruktur. Nun sind sie auch in Deutschland aktiv. In einigen der Aufnahmelager für Flüchtlinge. Das offizielle Gesundheitsportal der deutschen Apothekerschaft, www. aponet.de und die Neue Apotheken Illustrierte fragten nach, warum. Die deutsch-argentinische Apothekerin Dr. Carina Vetye-Maler stellte sich den Fragen.

Interview mit einer Apothekerin über die Flüchtlingsversorgung.
Jasmin Nolan, Dr. Mithu Sen (ärztliche Leitung), Dorothee Giese und Lena Kolbowski im Arzneimittellager der Ambulanz im Alten Rathaus Wilmersdorf (von links).
© Apotheker ohne Grenzen

Frau Dr. Vetye-Maler, Sie haben die Arzneimittelversorgung in armen Ländern aufgebaut, wieso werden Sie und Ihre Kollegen von AoG jetzt in Deutschland aktiv? Ist es bei uns so schlimm wie in Entwicklungsländern?

Vetye-Maler: Wir haben nun eine völlig neue Situation in Deutschland mit Zehntausenden von Menschen ohne Gesundheitsversorgung, zusätzlich zu den Einheimischen, wie Obdachlose, die auch keine Krankenversicherung haben. Es gibt sehr viele Flüchtlinge, sie können nicht überall schnell genug registriert werden. Manchmal dauert das Verfahren zwei Wochen. Doch erst mit der Registrierung fallen diese Menschen unter das Asylbewerberleistungsgesetz und haben dann Zugang zu einer Basisgesundheitsversorgung. Bei AoG lag schon Erfahrung vor, wie vorgegangen wird, wenn ein Mensch keine Krankenkasse hat, denn wir beteiligen uns an einem Obdachlosenprojekt. Bei den Flüchtlingen liegen akute Probleme vor, wie Atemwegs- und Hauterkrankungen. Manchmal sind Wunden zu versorgen oder Verletzungen an den Füßen. Viele Menschen kommen aus Ländern, in denen das Gesundheitssystem seit längerem nicht funktioniert. In den improvisierten Notunterkünften ist daher eine schnelle medizinische Untersuchung und zügige Behandlung sehr wichtig. Es werden Medikamente benötigt und da, wo Arzneimittel nötig sind, sollte auch ein Apotheker sein. Ohne Apotheker geht es nicht. Deshalb setzen wir uns nun auch in Deutschland ein.

Wo sind Sie denn derzeit in Deutschland eingesetzt?

Vetye-Maler: Wir arbeiten vor allem in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Allgemein dort, wo viele Notunterkünfte eingerichtet werden mussten und es nun Tausende von Nicht-registrierten Flüchtlingen gibt. In Hamburg und München wurde die Situation von verschiedenen Kolleginnen evaluiert, und es wird beratend gearbeitet. Auch deutschlandweit sind wir von der Münchner Geschäftsstelle aus beratend tätig, da es viele Fragen zur Arzneimittelversorgung gibt und man Fehler verhindern kann: Es gab beispielsweise die Idee, privat eine Arzneimittelsammelstelle einzurichten und dann alles nach Berlin zu senden oder privat gesammelte Medikamente direkt an die Flüchtlinge zu geben. Aber das hilft nicht und ist auch nicht legal! Die Situation ändert sich aber täglich, es können weitere Städte oder Bundesländer dazukommen.

Wie viele Apothekerinnen und Apotheker sind im Einsatz?

Vetye-Maler: Derzeit sind mehr als 20 Kollegen/innen aktiv, die meisten in Berlin. Wir haben unsere Regionalgruppen in ganz Deutschland informiert. In Berlin ist von AoG-Apothekerin Dorothee Giese eine Liste von Kollegen/innen erarbeitet worden, die bereit sind ehrenamtlich mitzuarbeiten. Die werden dann bei Bedarf kontaktiert.

Was machen die dort konkret?

Vetye-Maler: Wir arbeiten mit Gruppen von ehrenamtlich tätigen Medizinern und Krankenschwestern zusammen. Wir haben den pharmazeutischen Teil der Arbeit übernommen: das Sortieren vorhandener Arzneimittel, das Erstellen von Listen der wichtigsten Arzneimittel, damit sich die Verschreibungen auf wenige Wirkstoffe konzentrieren, die günstiger eingekauft werden können und kümmern uns auch um die Finanzierung der benötigten Basismedikamente. Auch Informationsblätter zu Kinderdosierungen sind wichtig, da ja Ärzte verschiedener Fachrichtungen mitarbeiten. Die Mediziner müssen bei ihrer Arbeit entlastet werden, sie müssen ja zu oft per Dolmetscher mit dem Patienten sprechen, das heißt dass viel mehr Zeit investiert werden muss in jede Konsultation.

Woher bekommen Sie denn die Arzneimittel?

Vetye-Maler: Wir kaufen die Medikamente über verschiedene Apotheken, suchen die preiswerteren Wirkstoffe. Natürlich arbeiten wir unter Einhaltung der Rezeptpflicht, berücksichtigen die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und die Apothekenpflicht, wir sind gegen „Arzneimittel-Recycling“. Arzneimittel sollen aus sicheren Quellen kommen, für alle Menschen! Wir arbeiten in unseren ausländischen Projekten ja viel in Ländern, wo es keine Gesetze für Medikamente gibt oder dieselben nicht eingehalten werden. Wir kennen daher die negativen Folgen, wie Fälschungen, Medikamente mit Qualitätsmängeln, Nicht-Einhaltung der Kühlkette, usw. Daher ist es wichtig, dass hier bei aller Improvisation die Gesetze eingehalten werden.

Wie finanzieren Sie die Medikamentenkäufe?

Vetye-Maler: Wir sind auf Geldspenden angewiesen, bitten hier um Unterstützung. Die gesamte Arbeit wird von den Regionalgruppen ehrenamtlich parallel zur eigenen Arbeit gestemmt, aber die Medikamente müssen gekauft werden. Die Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und die Berliner Kollegen unterstützen schon sehr: der Berliner Apotheker Verein hat großzügig gespendet. Und einige Kammern und Verbände haben unsere Bitte um Spenden an ihre Mitglieder weitergesendet.

Warum wollen Sie keine Arzneimittelspenden?

Vetye-Maler: Medikamentenspenden sind nicht geeignet: zu oft sind es die falschen Arzneimittel. Denn die Idee, dass das, was bei einem übriggeblieben ist, genau das ist, was der andere benötigt, stimmt leider nicht! Arzneimittel aus Altenheimen sind nicht das, was die Flüchtlingskinder benötigen. Arzneimittel sind nun mal nicht beliebig austauschbar: Wer eine Pilzsalbe benötigt, kann nichts mit Blutdrucktabletten anfangen. Die Krankheitsbilder verändern sich zudem: Ende August war es noch sehr heiß, dann kühlte es stark ab. Es muss auch berücksichtigt werden, ob viele Kinder oder Familien in der zu betreuenden Notunterkunft untergebracht worden sind oder vor allem junge Männer. In die Notunterkünfte werden von heute auf morgen Hunderte von Menschen gebracht: Geld ist dann die einzige Möglichkeit auf deren Medikamentenbedarf schnell und flexibel zu reagieren. Es sind ja überall Apotheken und mitarbeitende Kollegen da, um dann das, was benötigt wird, zügig zu besorgen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Chefredakteurin Jutta Petersen-Lehmann.

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