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01.05.2025 08:39 Uhr
Blähungen, Bauchweh oder Husten beim Baby: Da hilft doch Fencheltee – oder besser nicht? Bereits 2023 warnte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) vor dem im Fenchel natürlicherweise enthaltenen Estragol (aponet.de berichtete). In Tierversuchen zeigt dieses nämlich eine potenziell krebserzeugende und erbgutverändernde Wirkung.
Keine offiziellen Grenzwerte bekannt
Da es im Moment keine offiziellen Grenzwerte für Estragol in Lebensmitteln gibt, haben die Ökotest-Experten für ihre Untersuchungen die Werte, die die EMA für Fenchel-haltige Arzneimittel festgelegt hat, auch für Fencheltee zugrunde gelegt. Speziell Babytees wurden unter die Lupe genommen. Da die schädigende Wirkung dosisabhängig im Bezug auf das Körpergewicht ist, können die Grenzwerte bei Babys und Kleinkindern schnell überschritten werden. Für Kinder bis zu 11 Jahren empfiehlt die EMA keine Fenchel-haltigen Arzneimittel, wenn „die tägliche Aufnahme von Estragol den Richtwert von 1,0 µg/kg Körpergewicht überschreitet, es sei denn, eine Risikobewertung auf der Grundlage angemessener Sicherheitsdaten rechtfertigt dies.“
Ökotest rechnet beispielhaft mit einem 8 kg schweren Baby, das 100 ml Tee am Tag trinkt. Das Ergebnis der Ökotest-Untersuchung: Drei von den neun getesteten Tees, darunter auch von Apothekenmarken, enthalten so viel Estragol, dass der Grenzwert von 1,0 µg/kg Körpergewicht mit 100 ml Tee überschritten wird. Auch in den anderen sechs Tees wurde Estragol nachgewiesen, jedoch nur in Spuren. Die Ökotest-Experten fordern daher, auch im Lebensmittelbereich Grenzwerte zu etablieren. Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prüft derzeit die Sicherheit fenchelhaltiger Lebensmittel inklusive Tees, Kräuter und Gewürze. Ein Positionspapier wird im September 2025 erwartet.
Was genau ist Estragol?
Estragol klingt nach Chemie, ist aber ein natürlicher Pflanzenstoff. Er gehört zu den sogenannten Phenylpropanoiden und ist in vielen Küchenkräutern enthalten – etwa in Fenchel, Anis, Basilikum oder Muskat. Die Substanz verleiht diesen Gewürzen ihr charakteristisches Aroma. Doch Estragol ist nicht ganz unbedenklich: Im Körper kann er in höhere Dosen in eine reaktive Verbindung umgewandelt werden, die an die DNA bindet. Das könnte genotoxisch und möglicherweise krebserregend wirken.
Tatsächlich nimmt fast jeder Mensch Estragol über die Nahrung auf – ganz automatisch beim Kochen oder Würzen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) schätzt die tägliche Aufnahme auf etwa 0,5 bis 5 Milligramm. Der genaue Wert hängt stark davon ab, wie oft und in welchen Mengen Estragol-haltige Pflanzen konsumiert werden. Auch innerhalb derselben Pflanze kann der Estragolgehalt stark schwanken, was die Festlegung von sicheren Grenzwerten zusätzlich erschwert.
Empfehlung: Nur gelegentlich verwenden
Trotz des potenziellen Risikos gibt es aktuell keinen Grund zur Panik. Die EMA betont: Solange Estragol nur gelegentlich beim Kochen eingesetzt wird, besteht kein signifikantes Gesundheitsrisiko. Der Körper verstoffwechselt die Substanz nämlich dosisabhängig – das heißt, kleine Mengen werden meist problemlos verarbeitet. Wichtig ist dabei die alltägliche Praxis: Wer ab und zu Fencheltee, Anisschnaps oder Basilikum nutzt, muss sich keine Sorgen machen. Bisher sei kein kein Anstieg des Krebsrisikos bei lebenslanger Einnahme Estragol-haltiger Nahrungsmittel bekannt.
Aufpassen bei Arzneimitteln
Bei Estragol-haltigen Arzneimitteln mahnt die EMA allerdings zur Vorsicht. Die Experten gehen davon aus, dass das im Tiermodell beobachtete krebserregende Potenzial auch für den Menschen gelten können. Deshalb sollen gemäß der EMA-Empfehlung Kinder unter vier Jahren überhaupt keine Fenchel-haltigen Arzneimittel zu sich nehmen, Kinder unter 11 Jahren nur sparsam. Auch Schwangere und Stillende gehören zu den sensiblen Personengruppen und sollten besser auf Fenchel-haltige Arzneimittel verzichten. Für alle anderen gilt: So wenig wie möglich und nur über einen kurzen Zeitraum (maximal 14 Tage).
Was gilt für Fencheltee?
Und was gilt für Fencheltee? Eltern sollten bei den Kleinsten ganz auf Fencheltee verzichten und ihn auch bei Kindern unter elf Jahren nur sparsam einsetzen. Bei Blähbauch und Co. kann stattdessen Kümmeltee helfen. Wer als Erwachsener nicht auf Fencheltee verzichten möchte, dabei aber auf Nummer sicher gehen will, kann zu ganzen Fenchelfrüchten greifen. Ein Aufguss aus ganzen Früchten enthält einer Untersuchung zufolge nämlich bis zu dreimal weniger Estragol als ein Aufguss aus geschnittenen Früchten. Der Tee sollte zudem nicht länger als vorgesehen ziehen, auch das Ausdrücken des Teebeutels erhöht die Menge an Estragol in der Tasse.