Barfußschuhe – gesund oder schädlich?

Tamara Berikoven | 15.09.2022

Die Sohle minimal, die Freiheit maximal – so lautet das Versprechen der Barfußschuh-Produzenten. Daran, ob der Trend gesund ist, scheiden sich noch immer die Geister. Doch eigentlich müsste die Frage anders lauten.
Das Laufen in Barfußschuhen kräftigt die Muskeln und Sehen im Fuß. image.originalResource.properties.copyright

Erinnert sich noch jemand an den Hype um sogenannte Abrollschuhe Anfang der 2010er-Jahre? Damals tauchten Schuhe mit dicken, abgerundeten Sohlen auf, die als vermeintliche Wunderwaffe gegen Rückenschmerzen galten. Nur wenige Jahre später waren sie komplett von der Bildfläche verschwunden. Ganz anders verlief der Trend bei sogenannten Barfuß- oder Minimalschuhen. Diese verfügen über eine äußerst flexible, dünne Sohle und sind um den Fuß herum anschmiegsam wie ein Strumpf. Sie gestatten dem Träger maximale Bewegungsfreiheit und das Gefühl, als liefe man fast barfuß, wobei sie gleichzeitig vor Verletzungen schützen.

Was einst als exotische Eintagsfliege belächelt wurde, ermöglicht heute Millionenumsätze. Sportläden haben Varianten verschiedener Hersteller und für spezifische Sportarten im Sortiment. Es gibt Zehenschuhe – eine Art Handschuh für die Füße–, edle Business-Ausführungen fürs Büro, Modelle für jedes Alter und alle Jahreszeiten, sogar Socken, mit denen man über Glasscherben laufen kann. Wie lässt sich dieses Konzept nach 15 Jahren bewerten?

Muskeln und Sehnen werden gekräftigt

Das Laufen in Barfußschuhen beschreiben viele Träger als Aha-Erlebnis. Im Vergleich zu einem weniger biegsamen Schuh empfinden viele die Bewegungsfreiheit, die der Minimalschuh gewährt, sogar als sicherer. Paradox? Tatsächlich rollt der Fuß nach einer gewissen Eingewöhnungszeit weniger über die Ferse ab, sondern mehr über Mittel- und Vorfuß. Muskeln und Sehnen, die in herkömmlichen Sportschuhen weniger gefordert seien, würden so gekräftigt, weiß Professor Dr. Wolfgang Potthast vom Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Dadurch minimiert sich die Verletzungsgefahr. Die positiven Trainingseff ekte sind eindeutig." Zu diesem Ergebnis kam eine Studie, an der Potthast beteiligt war.

Dass sich in nur wenigen Trainingswochen Muskelkraft und Leistung der Minimalschuh-Läufer verbessern und der Fuß an Stabilität zulegte, belegen zudem mehrere internationale Forschungsarbeiten. Es gibt allerdings auch Studien, in denen Wissenschaftler eine geringere Laufstabilität nachgewiesen haben. Ein endgültiges Resümee lässt sich daher womöglich erst in einigen Jahren ziehen. Eine andere Frage lässt sich leichter beantworten: Wie man sie nutzen sollte. Wichtig ist, es nicht zu übertreiben. "Sonst werden Knochen, Sehnen, Bänder und Knorpel überbeansprucht. Das kann Schäden hervorrufen", erklärt der Sportexperte. Generell sei es sinnvoll, auf ein vernünftiges Verhältnis von Belastung und Erholung zu achten und die Intensität der Trainingsphasen nicht zu abrupt zu steigern.

Der Siegeszug von Barfußschuhen wundert auch Julia Brückel nicht. Die Physiotherapeutin berichtet, dass sich mit dem unmittelbaren Kontakt zum Untergrund die Körperhaltung ihrer Patienten verbessere. "Ich empfehle die Schuhe nach einer Eingewöhnungszeit bei Knie- und Hüftschmerzen als Alltagsschuh", erläutert sie. Auch die Gangart werde dynamischer.

Sanfter Einstieg: Kurze Strecken statt Marathon

Dass sich Minimalschuhe für den Alltag eignen, davon zeigt sich auch Bewegungsexperte Potthast überzeugt. Studien hierzu seien schwierig durchzuführen, doch er vermute ähnliche Ergebnisse wie bei Sportlern. Allerdings gelte auch hier: "Die Dosis macht das Gift." Wer sich noch nie in diesen Schuhen bewegt habe, dem empfehle er nicht, gleich mit einer 10-Kilometer-Wanderung zu starten und dabei einen Bollerwagen zu ziehen. Muskeln und Sehnen bräuchten Zeit, um sich anzupassen. Dagegen sei es unproblematisch, sich erst einmal im Büro oder beim Einkaufen an die neue Gehweise zu gewöhnen und sich dann zu steigern.

Empfehle er denn auch Minimalschuhe für Kinderfüße? "Unbedingt!", betont Potthast: "Nicht gerade bei einer dauerbelastenden Tageswanderung. Aber ansonsten den ganzen Tag lang." Es sei wichtig, dass Kinder viel barfuß liefen. Diese Meinung teilt auch Physiotherapeutin Brückel: "Barfußgehen wirkt sich auf den gesamten Bewegungsapparat aus, je früher wir natürlich gehen, desto besser."