Gedächtnisprobleme: Oft ist es einfach Stress

Dr. Frank Schäfer | 15.05.2023

Bei nachlassender geistiger Leistung aus Furcht vor schlechten Diagnosen nicht zum Arzt gehen? Keine gute Idee! Warum, verrät Dr. Michael Lorrain, Vorstandsvorsitzender der Alzheimer Forschung Initiative e. V. und niedergelassener Neurologe aus Düsseldorf.
Hinter Vergesslichkeit können auch psychische Ursachen wie Stress oder eine Depression stecken. image.originalResource.properties.copyright

Wie können Angehörige Betroffene zum Arztbesuch motivieren?

Lorrain: Ich sage besorgten Angehörigen immer wieder, dass es ab einem gewissen Alter genauso zur Routine gehört, sich den Kopf untersuchen zu lassen, wie man auch den Blutzucker checkt. So können sie die Frau, den Mann, den Vater oder die Mutter in vielen Fällen überzeugen, für eine Routineuntersuchung zum Neurologen zu gehen. In fast allen neurologischen Praxen gibt es dafür die Möglichkeit, Ultraschalluntersuchungen der Blutgefäße im Hals und im Kopf zu machen. Das ist unverfänglich und für Patienten mit wenig Aufwand verbunden, sodass sie das oft gut einsehen. Sind sie in der Praxis, kann der Arzt meist gut auch Demenztests machen, ohne dass die Menschen das Gefühl haben, man überfahre sie.

Welche Untersuchungen erfolgen in der neurologischen Praxis?

Lorrain: Um organische Ursachen bei Gedächtnisstörungen abzuklären, macht man eine Blutentnahme. Dazu kommen Gedächtnistests und ein Depressionstest. Außerdem schicken wir die Betroffenen zur Radiologie, für eine Kernspintomografie des Kopfes. Man kann dabei unter anderem genau sehen, ob an einer spezifischen Stelle eine für Alzheimer typische Schrumpfung von Gehirnmasse eingetreten ist oder eben nicht.

Wenn es doch Demenz ist: Was nützt die Diagnose, wenn es keine Heilung gibt?

Lorrain: Es gibt auf jeden Fall Klarheit. Die belastet zwar auch, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Betroffene und Angehörige mit der Diagnose besser umgehen können als mit der ständigen Furcht davor. Und Angehörige denken nicht mehr, die Mutter oder der Vater will sie mit Bitten um Hilfe ohne Grund ausnutzen. Außerdem kann man Vorsorge treffen, wenn die Demenz voranschreitet und Betroffene nicht mehr allein Entscheidungen treffen können. Hier geht es zum Beispiel um Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen. Macht man das erst spät, kann es sehr kompliziert werden und unter Umständen den Familienfrieden ziemlich durcheinanderbringen.

Was kann man noch für Betroffene tun?

Lorrain: Man kann Depressionen als Begleiterscheinung einer Demenzerkrankung mit Medikamenten mildern. Ebenso Schlafprobleme, da schon früh bei einer Alzheimer-Demenz Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus auftreten. Und es sind bereits um den Zeitpunkt der Diagnose herum belastende Wahnvorstellungen möglich, etwa das ständige Gefühl, jemand sei in der Wohnung, ohne dass es so ist. Eine medikamentöse Behandlung kann hier den Leidensdruck vermindern. Weitere Maßnahmen sind Bewegung oder Konzentrationsübungen und Ergotherapie als kognitives Training. Eine wunderbare Möglichkeit dafür bieten auch Brett- und Kartenspiele, die die visuelle Erkennungsfähigkeit des Gehirns trainieren. Kann man in fortgeschrittenen Demenzstadien Dinge nicht mehr erkennen, hört das Interesse daran auf und man fällt immer mehr in die Demenz hinein.

Vielen Dank für das Gespräch!