Viele schwangere Frauen haben Ängste oder zumindest ein mulmiges Gefühl, wenn sie an die bevorstehende Geburt denken. So erging es auch Kristin Graf: „Nach zwei extrem schmerzhaften Geburten habe ich mich während meiner dritten Schwangerschaft intensiv gefragt, wie ich mich davor schützen kann, so etwas noch einmal erleben zu müssen.“ Durch eine Freundin stieß Graf auf das sogenannte „Hypnobirthing“: Eine Methode, die schon in den 1980er-Jahren von der Amerikanerin Marie F. Mongan entwickelt wurde und auf der Überzeugung beruht, dass Geburten unter natürlichen, angstfreien Bedingungen sanft und effektiv ablaufen können.
Mehr Ruhe und Gelassenheit
Schwangere sollen dabei lernen, sich durch Hypnose selbst in einen tief entspannten Zustand zu versetzen. „Der Gedanke hat mich fasziniert, aber ich empfand viele der Techniken als zu kompliziert und nicht ideal für die Herausforderungen einer Geburt“, erzählt Graf. Doch das Grundprinzip – ein tiefer mentaler Zustand der Entspannung – war ihr bereits vertraut: „Ich selbst hatte seit meinem 20. Lebensjahr viel mit Mentaltraining gearbeitet und wusste, wie kraftvoll dieser Zustand sein kann.“ Daher nutzte Graf für sich genau diese Techniken - mit großem Erfolg: „Die Geburt, die ich dann erleben durfte, war für mich lebensverändernd: selbstbestimmt, friedlich und schmerzfrei. Schon während der Geburt habe ich gespürt: Davon muss ich allen Frauen erzählen.“
Aus ihren eigenen Erfahrungen hat die dreifache Mutter den Online-Kurs „Die Friedliche Geburt“ entwickelt und gibt mittlerweile auch selbst Fortbildungen für medizinisches Fachpersonal, unter anderem an der Universität Göttingen im Studiengang Hebammenwissenschaft. Schwangere lernen dabei Schritt für Schritt mithilfe von Audiodateien, sich tief zu entspannen und die Geburt mental vorzubereiten. Mit einem schwingenden Pendel und beschwörenden Blicken, wie Hypnose oft im Fernsehen oder auf der Bühne dargestellt wird, haben die Techniken übrigens nichts zu tun: „Therapeutische Hypnose ist eine Art mentales Training für das Nervensystem“, sagt Graf. Ziel sei es, in einer intensiven Situation – wie etwa der Geburt – nicht in Stress oder Angst zu verfallen, sondern innerlich ruhig, fokussiert und bei sich zu bleiben.
Welche Wirkung dieses Training hat, wurde bereits von einem Forschungsteam der Universitäten Jena und Halle in einer randomisierten Kontrollstudie mit 221 Teilnehmerinnen untersucht. Die Ergebnisse:
- Weniger Stress: Schwangere, die den Kurs nutzten, berichteten von signifikant niedrigeren Stresswerten.
- Positive Erwartungen: Die mentale Vorbereitung führte zu deutlich positiveren Einstellungen gegenüber der Geburt.
- Besseres Geburtserleben: Nach der Geburt beschrieben Teilnehmerinnen weniger Angst, weniger Einsamkeitsgefühle und mehr Selbstwirksamkeit.
Weniger Schmerzen durch Hypnose?
Dass die Geburt von den teilnehmenden Frauen tatsächlich weniger schmerzhaft empfunden wurde, konnte in der Studie zwar nicht nachgewiesen werden – die Teilnehmerinnen berichteten aber, dass sie durch die Technik besser mit den Geburtsschmerzen umgehen konnten.
Eine vollkommen schmerzfreie Geburt ist Graf zufolge auch nicht das Ziel: „Das ist eher selten, aber möglich. Häufiger berichten Frauen: ‚Der Schmerz war da, aber er war mir egal.‘ Oder: ‚Es war deutlich weniger intensiv, als ich es erwartet hatte.‘“ Viele Gebärende hätten zudem das Gefühl, weniger ausgeliefert zu sein, und beschreiben eher ein tiefes Eintauchen in den Geburtsprozess – ähnlich wie bei einem Marathonlauf: extrem fordernd, aber machbar. „Es geht also nicht um Schmerzfreiheit als Ideal, sondern um einen selbstbestimmten, kraftvollen Umgang mit den Empfindungen der Geburt“, erklärt Graf.
Selbsthypnose lernen: Wie geht das?
Wie schaffen Schwangere es nun, sich selbst in einen solchen Zustand tiefer Entspannung zu versetzen? Kurse und Angebote zur Geburtsvorbereitung mit Hypnose gibt es mittlerweile viele, die Kosten dafür müssen Frauen in der Regel selbst tragen. Theoretisch ist es auch möglich, Selbsthypnose ohne einen Kurs oder professionelle Begleitung zu erlernen. „In der Praxis ist es erfahrungsgemäß aber schwer, allein die nötige Tiefe und Stabilität zu erreichen“, sagt Graf. Sie rät werdenden Müttern dazu, sich auf der Suche nach einem seriösen Angebot folgende Fragen zu stellen:
• Gibt es nur einen Weg in die Hypnose, also eine Tranceinduktion, die immer wieder geübt wird?
• Gibt es Audio-Hypnosen, mit denen ich zu Hause üben kann? Mag ich die Stimme, die dort zu hören ist? Mag ich die Kursleitung?
• Wird auf eine harmonische Zusammenarbeit mit Hebammen und Ärzten Wert gelegt?
• Hat die Anbieterin oder der Anbieter eine fundierte Hypnoseausbildung?
• Ist die Methode wissenschaftlich fundiert? Gibt es Studien, Erfahrungsberichte oder eine transparente Darstellung der Inhalte?
• Wird jede Geburtsform wertschätzend begleitet? Oder gibt es ein Idealbild, dem ich entsprechen „sollte“?
„Ein seriöser Kurs sollte kein schlechtes Gewissen verursachen, wenn ich mich für eine PDA entscheide oder ein Kaiserschnitt notwendig wird. Geburt ist etwas sehr Individuelles, und jeder Geburtsweg hat es verdient, respektiert und gewürdigt zu werden. Ein gutes Angebot stärkt die Frau in ihrer eigenen Entscheidung“, sagt Graf. Ihrer Erfahrung zufolge ist die Offenheit für mentale Geburtsvorbereitung in den letzten Jahren deutlich gewachsen, auch unter Hebammen und Ärzten in Krankenhäusern. Einige Kliniken bieten sogar selbst Kurse an, die Frauen zur Geburtsvorbereitung belegen können.