Prof. Shibu Mathew: In der Tat werden Wearables immer beliebter und werden gern sowohl zur Prävention als auch aktiv zur Überwachung der eigenen Gesundheit genutzt. Je nach Hersteller und Preisklasse zeichnen sie mittlerweile eine Vielzahl von Parametern zur Schlafhygiene, Blutdruck, Herzfrequenzen und Herzrhythmusstörungen auf. Es gibt zwar Unterschiede in den einzelnen Funktionen und der Qualität der aufgezeichneten Parameter, aber alle folgen einem gemeinsamen Ziel: einen verbesserten Gesundheitszustand zu erreichen. Hierzu gibt es schon einfache Funktionen wie etwa Schrittzähler. Sie können helfen, den Trainingszustand zu verbessern und damit auf lange Sicht die Herz-Gesundheit zu fördern. Wir haben festgestellt, dass durch solche Funktionen Menschen auch mal die Treppen anstelle des Fahrstuhls nutzen, um am Abend auf die gewünschte Anzahl an Schritten zu kommen. Höherpreisige Produkte sind dann in der Lage, Parameter wie Bluthochdruck, Herzfrequenz oder sogar EKG-Ströme aufzuzeichnen.
Welche Werte, die meine Smartwatch anzeigt, sind Warnhinweise, die ich nicht ignorieren sollte?
Prof. Shibu Mathew: Theoretisch können alle angezeigten Werte – insbesondere im kardiologischen Bereich – ein Warnhinweis sein. Dazu sollte das Selbstmonitoring aber immer medizinisch begleitet werden. Wir möchten verhindern, dass Patienten bei jedem Warnhinweis sofort in Sorge geraten, allerdings gibt es einige, die uns Ärzten in der Praxis häufiger begegnen und die wir sehr ernst nehmen. So sollte beim Warnhinweis „Vorhofflimmern kann nicht ausgeschlossen werden“ bei EKG- Aufzeichnungen umgehend ein Arzt aufgesucht werden, der gegebenenfalls ein blutverdünnendes oder Herzrhythmus-Medikament sowie kardiologische Folgeuntersuchungen verordnet. Geräte, die keine EKG-Ströme aufzeichnen können, geben eventuell die Herzfrequenz als absolute Zahl an. Auch diese gilt es weiter abzuklären, um weiteren Risiken oder langfristigen Schäden vorzubeugen. Auch erhöhte Blutdruckwerte bedürfen einer weiteren Abklärung und gegebenenfalls einer medikamentösen Einstellung.
Was können Ärzte aus den gesammelten Daten ihrer Patienten erkennen?
Prof. Shibu Mathew: Im kardiologischen Bereich profitieren wir durchaus vom Einsatz von Wearables. Sie bieten die Möglichkeit, Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten im Alltag zu entdecken, die uns bei normalen Vorsorgeuntersuchungen etwa verborgen bleiben. Ein typisches Beispiel für den Vorteil von Wearables ist die Messung der sogenannten Vorhofflimmer-Last. Diese beschreibt, wie häufig Patienten über einen definierten Zeitraum solche Herzrhythmusstörungen haben. Etwa, ob es sich um ein einmaliges Ereignis zum Beispiel nach übermäßigem Alkoholkonsum handelt oder der Patient diese häufiger hat. Das gibt Ärzten wichtige Hinweise und bei entsprechender Diagnose kann dann eine blutverdünnende Medikation frühzeitig verschrieben werden, um einem Schlaganfall vorzubeugen. Auch Bluthochdruck oder ein Diabetes würden mit in die Risikobewertung von Patienten mit Vorhofflimmern einfließen. Es muss aber immer wieder betont werden, dass die Qualität der Aufzeichnungen nicht bei allen Smartwatches gleich gut ist. Deswegen ist eine kritische Bewertung durch medizinisches Fachpersonal wichtig.
Sehen Sie auch Nachteile des digitalen Gesundheitstrackings?
Prof. Shibu Mathew: Wearables müssen mit Augenmaß genutzt werden. Man sollte es nicht übertreiben, da viele Phänomene, die aufgezeichnet werden, auch in einem normalen Bereich liegen können. Das Wichtigste ist aber, keine Selbstdiagnosen zu stellen und diese dann selbstständig zu therapieren. Die gewonnenen Parameter müssen in einem Gesamtkontext professionell betrachtet und eingeordnet werden. Außerdem können sich hinter auffälligen Werten noch nicht erkannte Grunderkrankungen verbergen. Auch hier ein Beispiel: Ein erhöhter Blutdruck muss klinisch weiter abgeklärt werden, um die Ursache dafür herauszufinden. Eine Selbsttherapie birgt an dieser Stelle die Gefahr, dass gefährliche Erkrankungen, die einen überhöhten Blutdruck verursachen, nicht erkannt und behandelt werden können.