Männergesundheit

Prostatakrebs: Tastuntersuchung zur Früherkennung soll abgeschafft werden

NAS  |  29.11.2024

Die Tastuntersuchung zur Früherkennung von Prostatakrebs steht schon länger in der Kritik: Nur ein Drittel der Tumore werden auf diese Weise überhaupt entdeckt. Nun soll die Untersuchung abgeschafft werden. Was das für Männer bedeutet, erklärt ein Experte im Interview.

Arzt, spricht mit einem Mann.
Ab 45 Jahren haben Männer Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Prostatakrebs. Diese Untersuchung soll jetzt reformiert werden.
© ArLawKa AungTun/iStockphoto

Die Leitlinien zur Prostatakrebs-Früherkennung werden reformiert: Die Tastuntersuchung, die aktuell allen Männern ab 45 Jahren jährlich angeboten wird, soll durch den PSA-Bluttest ersetzt werden. Darauf haben sich Experten jetzt geeinigt. Mehr dazu erklärt Prof. Boris Hadaschik, Direktor der Klinik für Urologie der Universitätsmedizin Essen.

Die Tastuntersuchung zur Früherkennung von Prostatakrebs soll abgeschafft werden. Warum haben sich Urologen für diese Entscheidung stark gemacht?

Prof. Boris Hadaschik: Weil die Studienlage gezeigt hat, dass es sinnvoll ist. Die Leitlinien für die Behandlung von Erkrankungen werden regelmäßig überprüft und bearbeitet. Das heißt, aufgrund neuester Erkenntnisse und Studienergebnisse nehmen die verantwortlichen Fachgesellschaften Anpassungen in diesen Therapieempfehlungen vor. Dazu kommen Fachexperten und -expertinnen zusammen und diskutieren die Studienlage. Die diesjährige Konferenz bringt nun tiefgreifende Veränderungen bei der Früherkennung, Diagnostik und lokalen Therapie von Prostatakrebs mit sich. Dazu gehört auch, dass die Tastuntersuchung für die Früherkennung bei beschwerdefreien Männern nicht mehr durchgeführt werden soll. Stattdessen soll eine Bestimmung des PSA-Werts im Blut angeboten werden.

Wie wird die Früherkennung von Prostatakrebs künftig ablaufen? 

Hadaschik: Die Leitlinien sind eine Empfehlung. Das heißt nicht, dass sich jeder Arzt auch tatsächlich daran halten muss. Aber was wir empfehlen möchten, ist ein transparentes und individuelles Vorgehen bei jedem Patienten. Wir raten dazu, im ersten Schritt die Vor- und Nachteile der Prostatakrebsvorsorge zu besprechen und dann den PSA-Wert zu bestimmen. Je nach Ergebnis und persönlicher Risikoeinschätzung werden dann entsprechende weitere Schritte eingeleitet. Ist der PSA-Wert unauffällig (<1,5ng/ml), empfehlen wir, eine nächste Vorsorgeuntersuchung nach fünf Jahren, bei leichten Auffälligkeiten eine Kontrolle nach zwei Jahren. Die Besonderheit an Prostatakrebs ist, dass er mit einem weiten Spektrum von Aggressivität auftritt. Daher kann eine unstrukturierte Vorsorge nicht nur Tumoren übersehen, sondern auch Tumoren finden, die gar keiner Therapie bedürfen. Die Überdiagnose ungefährlicher Tumoren ist neben unnötigen Untersuchungen ein Problem, das die neue Leitlinie in 2025 adressieren wird.

Sollte der Wert zu hoch sein ( >3ng/ml), dann sollte geprüft werden: Wie groß ist die Prostata des Patienten? Was bedeutet der PSA-Wert in Relation zur Größe? Gibt es im engen Familienkreis des Patienten Fälle von Prostatakrebs? Dann ist er möglicherweise vorbelastet und das Risiko für eine Krebserkrankung steigt. Sollten alle Zeichen auf Risiko stehen, dann empfehlen wir eine MRT-Aufnahme. 

Zeigt sich auf den MRT-Bildern etwas Auffälliges, sollte eine Biopsie vorgenommen werden. Auch hier prüfen und interpretieren wir die Ergebnisse individuell und erst dann entscheiden wir, ob und wenn ja, welcher Eingriff der richtige ist. 

Das Gute an diesem Vorgehen ist: Wir konzentrieren uns nur auf aggressive Tumoren. Unbedenkliche oder kleinere Tumoren interessieren nicht. Und genau die wollen wir auch nicht finden. Weil die Behandlung von Prostatakrebs mit Nebenwirkungen verbunden ist, möchten nur etwas behandeln, was tatsächlich gefährlich ist. 

Der Igel-Monitor stuft den Nutzen des PSA-Tests als „tendenziell negativ“ ein. Können Sie dies einordnen?

Hadaschik: Das bezieht sich auf die alten Prozesse, in denen jede PSA-Erhöhung ohne vorherige Bildgebung eine Biopsie auslöste und Überdiagnose und Übertherapie ungefährlicher Tumoren häufig waren. Erst seit diesem Jahr sollen Niedrigrisikotumoren nicht mehr radikal therapiert werden. Der PSA-Bluttest ist sehr empfindlich und kann viele Tumoren finden. Daher ist es so entscheidend, was man mit dem Ergebnis macht. Wie gerade beschrieben, müssen wir die Testergebnisse je nach Patienten individuell interpretieren – PSA-Wert ist nicht immer gleich PSA-Wert. Richtig eingesetzt ist der Test die derzeit beste Untersuchung für die Früherkennung von Prostatakrebs.

Aktuell muss der PSA-Test selbst bezahlt werden. Wird sich das in Zukunft ändern? 

Hadaschik: Richtig, noch kostet ein PSA-Test circa 20 bis 35 Euro und ist keine allgemeine Kassenleistung. Wir fordern, dass ein strukturiertes Früherkennungsprogramm mit risikoabhängiger Bestimmung des PSA-Wertes eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland wird. Dieser Prozess wird in 2025 angestoßen und daher bin ich optimistisch, dass wir in wenigen Jahren die fehlende Vergütung nicht mehr diskutieren müssen. 

Studien haben gezeigt, dass viele Männer mit Prostatakrebs unnötigerweise operiert werden und die Risiken der OP in vielen Fällen in keinem in keinem Verhältnis zum Behandlungserfolg stehen. Warum kommt es bei Prostatakrebs so oft zu Überbehandlungen?

Hadaschik: Etwa 20 Prozent der heutzutage gefundenen Prostatatumore befindet sich im Niedrigrisikobereich. Diese Tumoren sollten zunächst überwacht werden. Ein zunächst unbedenklicher Tumor kann zwar zu einem aggressiven werden, aber nicht von heute auf morgen. Deswegen haben wir Zeit. Dennoch werden diese Patienten noch zu oft operiert. Fakt ist, dass die Nebenwirkungen einer OP bei Prostatakrebs hoch sind. Knapp 80 Prozent der Operierten leiden an Impotenz. Auch die Kontinenz kann unterschiedlich stark beeinträchtigt werden, im schlimmsten Fall bis hin zur kompletten Inkontinenz. 

Wie sollte die Früherkennung und Therapie von Prostatakrebs idealerweise ablaufen?

Hadaschik: Idealerweise sollte die Früherkennung vor allem nicht abschreckend für Patienten sein. Die Tastuntersuchung wird häufig als unangenehm empfunden. Deswegen habe ich die Hoffnung, dass die erwartete Anpassung der Leitlinie auch die Hemmung senkt, zur Vorsorge zu gehen. Das von uns vorgeschlagene Vorgehen mit dem PSA-Wert als Erstuntersuchung und der individuellen Interpretation sowie sich daraus ableitenden weiteren Maßnahmen sehe ich persönlich als gute Chance. Aktuelle Studien dazu zeigen auch, dass sich dadurch das Erkennen von Niedrigrisikotumoren um die Hälfte reduziert hat, dafür das Erkennen von aggressiven Tumoren besser geworden ist. Das wollen wir nun ausbauen, damit wir die radikale Therapie auf aggressive Krebse beschränken können, von denen im lokal begrenzten Stadium mittels Operation oder Bestrahlung viele dauerhaft geheilt werden können. 

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