Arbeitszeitgesetz: Warum längere Arbeitstage der Gesundheit schaden

pta-Forum Michael van den Heuvel  |  30.10.2025 07:40 Uhr

Die geplante Lockerung des Arbeitszeitgesetzes sorgt für Kritik. Expertinnen warnen vor Überlastung, Stress und gesundheitlichen Risiken.

Junge Frau sitzt im Dunkeln im Büro und arbeitet am Computer.
Arbeitstag mit zwölf Stunden? Nach den geplanten Änderungen des Arbeitszeitgesetzes wäre das möglich. Das Unfallrisiko steigt nach dem acht-Stunden-Tag aber exponentiell an.
© jacoblund/iStockphoto

Die Bundesregierung will das Arbeitszeitgesetz reformieren. Künftig soll die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche gelten. Arbeitgeberverbände begrüßen den Vorschlag als „Modernisierung“, die mehr Spielraum und Selbstbestimmung ermögliche.

Doch eine Analyse der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Schon heute erlaubt das Gesetz erhebliche Flexibilität – Arbeitgebende können die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden verlängern, solange innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich erfolgt.

Arbeitstage mit mehr als zwölf Stunden: Hochriskant aus Sicht der Arbeitsmedizin

Was die geplante Reform zulassen würde, geht weit darüber hinaus: Nach Abzug der vorgeschriebenen Ruhezeiten könnten Arbeitstage von über zwölf Stunden entstehen. Aus arbeitsmedizinischer Sicht gilt das als hochriskant:  Das Unfallrisiko steigt nach der achten Arbeitsstunde exponentiell, nach zwölf Stunden ist es doppelt so hoch wie bei einem Achtstundentag. Lange Arbeitstage erhöhen das Risiko für Stress, Schlafmangel und psychische Belastungen. 

Eine derart weitgehende Deregulierung, warnt Dr. Amélie Sutterer-Kipping vom Hugo-Sinzheimer-Institut der Hans-Böckler-Stiftung, „würde die gesundheitlichen und sozialen Probleme in der Erwerbsbevölkerung verschärfen, statt sie zu lösen“.

Beschäftigte dagegen

Laut einer Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Böckler-Stiftung befürchten fast drei Viertel der Beschäftigten negative Folgen für ihre Erholung, Gesundheit und Familie, falls künftig Arbeitstage von über zehn Stunden erlaubt würden. Besonders Frauen äußern diese Sorge, da sie zusätzlich zur Erwerbsarbeit mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten.

Abends nochmals an den Schreibtisch: Unterbrechung wegen Familie nötig

Schon jetzt arbeiten rund 12 Prozent aller Beschäftigten regelmäßig länger als zehn Stunden, fast 40 Prozent setzen ihre Arbeit am Abend fort – oft, weil sie tagsüber wegen familiärer Verpflichtungen pausieren müssen.

Folgen für Gleichstellung und Familienleben

Für die Gleichstellung der Geschlechter wäre die Reform ein Rückschritt. „Frauen leisten im Schnitt acht Stunden mehr unbezahlte Arbeit pro Woche als Männer“, erklärt Dr. Yvonne Lott vom WSI.

Wenn Arbeitstage noch länger und unplanbarer werden, bleibt weniger Zeit für Familie, Erholung und Weiterbildung. Das erschwert beruflichen Aufstieg – besonders für Mütter.

Zementieren der Rollenbilder durch begünstigte Überstunden

Problematisch ist zudem, dass Überstunden steuerlich begünstigt werden sollen. Laut Lott würde diese Regelung „alte Rollenbilder verfestigen und die Gleichstellung zurückwerfen“. Wenn der vollzeitbeschäftigte Partner noch länger arbeitet, sinkt die Chance, dass Frauen ihre Arbeitszeit ausweiten können.

Problem: Kinderbetreuung unzureichend

Hinzu kommt: Kinderbetreuung bleibt vielerorts ein Engpass. Rund 60 Prozent der Eltern berichten laut Böckler-Daten von verkürzten Öffnungszeiten oder zeitweisen Schließungen von Kitas. Jede dritte Mutter musste deshalb ihre Arbeitszeit reduzieren.

Der Mythos von der „geringen Arbeitszeit“

Befürworter der Reform behaupten, in Deutschland werde zu wenig gearbeitet.
Doch die Zahlen zeigen ein anderes Bild:

  • Über 46 Millionen Menschen sind erwerbstätig – mehr als je zuvor.
  • Das Gesamtarbeitsvolumen liegt bei über 61 Milliarden Stunden jährlich.
  • Vollzeitbeschäftigte arbeiten im Schnitt 40,2 Stunden pro Woche – praktisch genauso viel wie im EU-Durchschnitt. Zudem werden jährlich hunderte Millionen Überstunden geleistet, viele davon unbezahlt.

Dass die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Kopf niedriger ist als in manchen anderen Ländern, liegt vor allem an der hohen Teilzeitquote. Fast jede zweite erwerbstätige Frau arbeitet in Teilzeit, oft unfreiwillig.

2,8 Jahre länger arbeiten im Leben als im EU-Durchschnitt

Auch die Lebensarbeitszeit ist mit durchschnittlich 40 Jahren deutlich länger als im EU-Mittel von 37,2 Jahren. Wer also fordert, die Deutschen müssten mehr arbeiten, um die Wirtschaft anzukurbeln, ignoriert diese Fakten.

Wie sich Arbeit stattdessen gestalten ließe

Anstatt Schutzstandards zu lockern, schlagen Forschende der Hans-Böckler-Stiftung alternative Wege vor:

  • Mehr Arbeitszeitsouveränität, also realer Einfluss der Beschäftigten auf Beginn und Ende der Arbeitszeit.
  • Ausbau der Kinderbetreuung, um Müttern und Vätern gleiche Chancen zu eröffnen.
  • Stärkere Förderung und Erweiterung von Teilzeitmodellen wie der Brückenteilzeit.
  • Zehntägige bezahlte Freistellung für Väter nach der Geburt und zusätzliche Partnermonate beim Elterngeld.
  • Lückenlose Erfassung der Arbeitszeit, wie sie der Europäische Gerichtshof bereits 2019 verlangt hat. Viele Unternehmen, auch im Gesundheitswesen und in Apotheken, haben diese Pflicht bisher nicht umgesetzt, ohne dass sie mit Folgen zu rechnen hätten.
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