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Warum es keine gute Idee ist, Medikamente weiterzugeben

PZ/NK  |  20.12.2022

Ob rezeptpflichtig oder nicht – es gibt zahlreiche Gründe, warum man Arzneimittel nicht einfach weitergeben oder untereinander tauschen sollte. Das gilt erst recht bei Medikamenten für Kinder.

Frau, sortiert Medikamente in einer Box.
Medikamente aus der Hausapotheke an andere weitergeben? Das ist aus diversen Gründen keine gute Idee.
© Abdullah Durmaz/iStockphoto

Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hat am Sonntag in einem „Tagesspiegel“-Interview vorgeschlagen, man solle sich angesichts von Lieferengpässen nachbarschaftlich mit knappen Medikamenten aushelfen (aponet.de berichtete). Selbst abgelaufene Medikamente könne man weitergeben, diese könnten „gefahrlos“ verwendet werden.

Aus pharmazeutischer Sicht ist ein solcher Vorschlag unverantwortlich – auch wenn die Bundesärztekammer auf Nachfrage den Vorschlag ihres Präsidenten auf nicht verschreibungspflichtige, originalverpackte Arzneimittel eingeschränkte. Trotzdem gibt es hier so einige Probleme, die es zu bedenken gilt.

Fiebersaft ist angebrochen nur kurz haltbar

Ein Beispiel: Einige angebrochene Medikamente können verkeimen, sich verändern oder zersetzen. Besonders problematisch ist die Haltbarkeit bei flüssigen Arzneiformen wie den derzeit so knappen Fieber- und Antibiotikasäften. Ist die Flasche eines Fieber- und Schmerzsaftes oder auch Hustensaftes erst einmal geöffnet, gilt nicht mehr das aufgedruckte Verwendbarkeitsdatum, sondern eine Aufbrauchfrist. Diese beträgt beispielsweise bei Nurofen®-Saft sechs Monate, bei Benuron®-Saft zwölf Monate, bei anderen Fertigpräparaten wie dem Antiallergikum Cetirizin-Saft der Firma AL aber beispielsweise nur zwölf Wochen. Noch kürzer ist die Aufbrauchfrist bei Säften, die die Apotheken aus Mangel an Fertigpräparaten in der Rezeptur hergestellt haben oder auch bei Antibiotika-Suspensionen, die die Eltern selbst aus einem Pulver hergestellt haben. Angebrochene Säfte sollten zudem je nach Präparat im Kühlschrank gelagert werden (nicht an der Hinterwand und nicht in der Tür) – fraglich, ob man darauf bei weitergegebenen Arzneimitteln vertrauen kann.

Die Lagerung von Medikamenten ist wichtig

Auch andere Medikamente sollten kühl, trocken und vor Licht geschützt gelagert werden. Im feucht-warmen Milieu von Bad oder Küche können sich die Medikamente schnell verändern (aponet.de berichtete), und diese Lagerungsbedingungen können schon unangebrochenen Medikamenten zusetzen, die das Verfallsdatum noch nicht überschritten haben.

Ein Beispiel für einen Arzneistoff, der sich schnell zersetzten kann, ist ASS. Er dissoziiert in feuchter Luft relativ schnell zu Salicylsäure und Essigsäure. Werden Zäpfchen zu warm, können sie schmelzen. Wenn sie wieder abkühlen und hart werden, kann die Wirkstofffreisetzung verändert sein. Cremes und Salben können ranzig werden, verkeimen oder sich in einzelne Komponenten zersetzen. Das gilt insbesondere für angefangene Tuben und Tiegel.

Zum Verwendbarkeitsdatum gilt: Nur bis zu dessen Ablauf haftet der Hersteller für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit – aber eben auch nur bei sachgerechter Lagerung. Man kann es einem Arzneimittel nicht immer ansehen, ob es nach Ablauf des Verfallsdatums noch intakt ist. Der Wirkstoff kann sich dabei nicht nur zersetzen und dadurch unwirksam werden, sondern es können sich auch schädliche Abbauprodukte bilden.

Dosierhilfe und Beipackzettel gehören zum Arzneimittel

Viele der Fieber- und Schmerz- sowie Antibiotika-Säfte werden zudem mit einer Dosierspritze geliefert. Diese Applikationshilfe muss nach jedem Gebrauch gründlich gereinigt werden – sie von einem kranken Kinden zum nächsten weiterzugeben, ist aus hygienischen Gründen äußerst fragwürdig. Die Applikationshilfen sind zudem zum Teil produktspezifisch und lassen sich nicht einfach austauschen oder ersetzen.

Wichtig für die Dosierung ist neben einer geeigneten Applikationshilfe natürlich auch der Beipackzettel, der vorhanden seien muss – gerade bei der gewichts- oder altersbasierten Dosierung von Arzneimitteln für Kinder.

Nicht jedes Medikament ist für jeden Patienten geeignet

Darüber hinaus ist nicht jedes Arzneimittel für jeden Patienten geeignet. „Ein Arzneimittel, das für die Freundin hervorragend geeignet ist, kann einem selbst unter Umständen schaden“, warnt als Reaktion nun unter anderem Ursula Funke, Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen. Während zum Beispiel Kinder Paracetamol oder Ibuprofen in den allermeisten Fällen gut vertragen, da sie noch keine Leber- oder Nierenprobleme haben, kann das bei Erwachsenen anders aussehen. Paracetamol soll nicht bei eingeschränkter Leberfunktion eingesetzt werden, Ibuprofen nicht bei eingeschränkter Nierenfunktion. Acetylsalicylsäure (ASS) darf nicht bei Kindern unter zwölf Jahren zum Einsatz kommen, da bei ihnen es in seltenen Fällen die schwere Nebenwirkung Reye-Syndrom auslösen kann.

Handelt es sich um Antibiotikum, gilt erst recht, dass man hier nicht einfach auf das zurückgreifen kann, was die Nachbarin gerade noch in ihrer Hausapotheke hat. Denn nicht jedes Antibiotikum hilft bei jeder Infektion. Dosierung und Anwendungsdauer sind vom Arzt festzulegen, damit die Therapie anschlägt und Resistenzen und Nebenwirkungen vermieden werden.

Nur das lagern, was man wirklich braucht

Normalerweise wird empfohlen, in der Hausapotheke für jedes Familienmitglied ein geeignetes Fieber- und Schmerzmittel vorrätig zu halten. Dabei reicht es aus, eine Packung Saft oder Zäpfchen für die jüngeren Kinder oder eine Packung Tabletten für die größeren Kinder und Erwachsenen. Wer Medikamente hamstert, verschärft das Problem für die Allgemeinheit.

Und auch die Standesvertretung der Ärzteschaft steht nicht geschlossen hinter den Äußerung von BÄK-Präsident Reinhardt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung sprach sich heute sogar explizit dagegen aus. So warnte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen davor, gebrauchte oder gar abgelaufene Arzneimittel im Nachbarschafts- oder Freundeskreis zu tauschen oder abzugeben. „Das Risiko ist einfach zu groß, dass durch solche eigentlich gut gemeinten Solidaritätsaktionen mehr Schaden als Nutzen bis hin zu Gefahren für Leib und Leben angerichtet werden.“

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