Multiple Sklerose: Wie Darmbakterien das Immunsystem fehlleiten

Elisabeth Kerler  |  17.12.2025 13:15 Uhr

Forschung zu Multipler Sklerose und Darmflora: Bestimmte Darmbakterien beeinflussen den Verlauf von Multipler Sklerose bei Mäusen und bieten einen neuen Therapieansatz.

Junge Frau blickt durch ein Mikroskop auf einen Objektträger.
Im Labor herausgefunden: Bestimmte Darmbakterien beschleunigten bei Mäusen den Verlauf von Multipler Sklerose.
© monkeybusinessimages/iStockphoto

Bei Multipler Sklerose (MS) greift das Immunsystem die Schutzschicht der Nerven, die Myelinschicht, an. Was dazu führt, ist bisher noch nicht bekannt. Einen Zusammenhang hat jetzt ein Forschungsteam aus Basel entdeckt: Wenn entzündungsfördernde Darmbakterien der Myelinschicht ähneln, irritieren sie das Immunsystem und führen im Tierversuch zu einem schnelleren Krankheitsverlauf. Förderten die Bakterien keine Entzündungen, war der Verlauf milder. Darauf weist die Universität Basel in einer Mitteilung hin. 

Menschen mit MS haben andere Darmflora-Zusammensetzung

„Wir wissen, dass die Darmflora das Immunsystem beeinflusst, aber die Mechanismen in Bezug auf MS sind nicht vollständig geklärt“, wird Neurologin und Studienautorin Professor Dr. Anne-Katrin Pröbstel von den Universitäten Basel und Bonn zitiert. Bekannt ist aber: Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms – die Gesamtheit aller Mikrolebewesen im Darm – unterscheidet sich bei Personen mit MS von der gesunder Menschen. 

Molekulares Mimikry: Wenn Darmbakterien der Myelinschicht ähneln

Das Forschungsteam vermutete: Manche Darmbakterien förderten Entzündungen und wiegelten das Immunsystem auf. Ihre Oberfläche ähnelte zudem der der Myelinschicht. Dieses Phänomen heißt in der Fachwelt „molekulares Mimikry“. Aufgrund der Ähnlichkeit griffen Immunzellen die Bakterien ebenso wie die Schutzschicht an. 

So könnten Darmbakterien den Verlauf von MS beeinflussen

Die Vermutung testete das Team: Es veränderte entzündungsfördernde Salmonella-Bakterien so, dass ihre Oberfläche der Myelinschicht ähnelte. Dann gaben sie Mäusen, die wegen genetischer Veränderung als Krankheitsmodell für MS dienen können, die angepassten Bakterien. Eine andere Gruppe solcher Mäuse erhielt unveränderte Bakterien. So konnten sie den Einfluss der Anpassung an die Myelinschicht-Oberfläche vergleichen. 

Tierversuch zeigt: Schnellere MS bei entzündungsfördernden, angepassten Bakterien

Die Mäuse mit den angepassten Bakterien hatten einen wesentlich schnelleren Krankheitsverlauf, schreibt die Universität Basel. „Die entzündungsfördernden Bakterien allein befeuern die Krankheit nur bedingt“, erklärt Pröbstel. „Aber die Kombination aus entzündlichem Milieu und molekularem Mimikry aktiviert spezifische Immunzellen. Diese vermehren sich, wandern ins Nervensystem ein und greifen dort die Myelinschicht an.“

Darmmikrobiom als Therapieansatz bei Multipler Sklerose

Das Forschungsteam wollte auch wissen, ob man den Effekt nicht auch als Therapie für MS nutzen könnte. Daher passten sie diesmal die Oberfläche von E. coli-Bakterien an die Myelinschicht an. Diese Bakterien kommen üblicherweise im Darm vor und wirken nicht entzündlich. Als die Mäuse diese Bakterien erhielten, hatten sie einen milderen Krankheitsverlauf. „Wenn wir in Zukunft mit anderen Bakterien arbeiten, die das Immunsystem aktiv beruhigen statt anzustacheln, könnten wir Immunzellen womöglich darauf schulen, das Myelin zu tolerieren und nicht anzugreifen», erklärt Pröbstel das Potenzial für die Therapie.

Therapien anderer Krankheiten nutzen Immunsystem

Damit handelt es sich jedoch nur um einen Ansatz für eine neue Therapie, die erst weiter erforscht werden muss. Allerdings weisen die Ergebnisse auch auf ein mögliches Risiko bestehender Therapien hin: „Manche Krebstherapien nutzen das Mikrobiom, um das Immunsystem gegen den Tumor anzustacheln“, erinnert Pröbstel. Das könnte dann Folgen für Autoimmunreaktionen oder -krankheiten haben. Ihre Ergebnisse werden, so die Universität Basel, im Fachmagazin „Gut Microbes“ veröffentlicht. Die Studie war allerdings noch nicht verfügbar. 

Quelle: Universität Basel

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